Beitrag - Konzertlesung: Judy Bailey & Patrick Depuhl

Lesenswert - Bericht über ein außergewöhnliches Event

2/26/20253 min read

Konzertlesung mit Judy Bailey und Patrick Depuhl –

ein intensiver Abend

Am Freitag, dem 14. Februar kam die Marriage Week 2025 in unserer Gemeinde zu einem besonderen Abschluss. Als ich die Ankündigung las, war ich zunächst leicht irritiert. Eine Konzertlesung, was soll das sein? Ich kenne Konzerte, ich kenne Lesungen, aber beides in einem? Hinzu kommt, dass ich mit Judy Bailey als Musikerin und Songwriterin vertraut bin, das Werk ihres Ehemannes Patrick jedoch überhaupt nicht kannte.

Die besondere Kombination dieses kreativen Paares versprach nach ein wenig Recherche einiges: Eine Sängerin, Komponistin und Gitarristin, geboren in England, aufgewachsen auf der Insel Barbados (eine kleine Insel von lediglich 430 Quadratmetern in der Karibik, nordöstlich von Venezuela), die einen deutschen Mann geheiratet hat und mit ihm am Niederrhein lebt – eine ungewöhnliche Geschichte, die in meinem Kopf die Exotik des tropischen Atlantik mit vergangenem Piratenflair und die vermeintlich langweilige, westdeutsche Tiefebene verbindet.

Und dann erlebte ich einen spannenden Abend zwischen englischsprachigen, recht eingängigen Liedern, deren Kontext zuvor ausführlich eingeführt wurde, und deutschsprachiger Wortakrobatik, die uns Zuhörerinnen und Zuhörer durch teils sehr persönliche Geschichten führte. Doch Patrick Depuhl ist kein reiner Geschichtenerzähler. Seine Faszination liegt in der Erforschung und Durchdringung unserer Sprache und was sie mit unserem Denken anstellt – bzw. wie unser Denken sie prägt. Der Begriff Wort-Spiel hat an diesem Abend für mich noch eine tiefere Bedeutung bekommen, mitunter hielt Patrick uns einen Spiegel vor, um uns deutlich zu machen, wie sehr unsere Vorstellungen von Familie, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, zu Bevölkerungsgruppen bis hin zu Nationalitäten und angeblichen Rassen (dass es die biologisch gesehen nicht gibt, bekamen wir eindrucksvoll vermittelt) durch unsere Sprache beeinflusst werden.

Der Leitfaden dieses Konzeptes ist die spezielle Verbindung der beiden, die eben sehr verschiedene kulturelle Hintergründe mitbringen, die sich im Laufe ihres gemeinsamen Weges vielen Begegnungen mit in Deutschland lebenden Menschen ausgesetzt sahen, die von diesem Denken geprägt waren. Gelebter Rassismus, Vorurteile und Irritationen im Alltag wurden sehr anschaulich, satirisch verpackt und dennoch entlarvend in unseren bequemen Freitagabend hineingespielt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das irgendjemanden der Anwesenden kalt gelassen hat.

Judy begleitete ihre Lieder dazu mit vielen Berichten und Gedanken aus ihrer Biografie, die sich neben den Erfahrungen in der deutschen Lebenswirklichkeit und dem Vergleich mit ihrer Zeit auf Barbados auch intensiv mit ihren Vorfahren und deren Geschichte beschäftigten. Ein Großteil der karibischen Bevölkerung geht auf afrikanische Sklaven zurück, die von den Europäern in deren Kolonien transportiert wurden. Was macht das mit dir, wenn du weißt, dass deine Vorfahren mit Gewalt aus ihrer Heimat verschleppt wurden und über Generationen als Leibeigene ihr Leben fristen mussten?

Patrick zog an diese Geschichten angelehnt einen weiten Bogen von den Ursprüngen des modernen Gesellschaftsbildes bei Kant über die amerikanische Verfassung und ihre Verstrickung mit dem europäischen Kolonialismus hin zu unserer deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert – in der die besondere Familiengeschichte, der er entstammt, prägende Wendungen nahm.

Am Ende steht die Erkenntnis, dass unser – sprachlich beeinflusster – Blick auf die Welt begrenzt, oft auch überheblich ist, und nur einen schmalen Spalt der Realität erkennen lässt. Wieso kräht ein Hahn in unterschiedlichen Ländern anders – zumindest was die sprachlich-akustische Wiedergabe betrifft?

Das Leben ist nicht schwarz und weiß – so der Titel des Programms der beiden, humorvoll und wortgewandt zugespitzt, diese Botschaft hat mich durchaus nachdenklich nach Hause geschickt. Die sprachliche Gewandtheit Patrick Depuhls hat mich fasziniert und viel Spaß bereitet. Judy hat mich durch ihre Ausstrahlung mehr berührt als durch die Lieder. Diese fand ich tatsächlich eher durchschnittlich, vielleicht hat mich auch der Einsatz ihres Loopers gestört, über den sie quasi ihre fehlende Band eingespielt hat. Mir haben die nur mit der Gitarre gespielten Lieder besser gefallen.

Letzen Endes war ich froh, dabei gewesen sein zu können und möchte die Möglichkeit, über Konzerte und Aufführungen in unserem Gemeindehaus unseren gedanklichen Radius zu erweitern und anregende Räume der Begegnung zu schaffen, ausdrücklich empfehlen.

Georg Kipp